Kostbare Fülle lebendigen Seins - über Wolfgang Klähn

Kostbare Fülle lebendiger Kunst

Drei große Ausstellungen zum 70sten Geburtstag des Malers Wolfgang Klähn

„Geist der du erahnst die Materie schaffst sie um in ihr zu leuchten“ – der Bildertitel von 1952, verschlossen und programmatisch, kraftvoll und andeutend zugleich. Und unbequem, wie das ganze Werk von Wolfgang Klähn. Gar nichts Anbiederndes, nichts Gefälliges, nirgendwo der flaue Kompromiß mit Sehwünschen, Sehgewohnheiten. Ist das ein Nachteil? Oder ist nicht gerade das der Einstieg in ein Lebenswerk, das in dieser Breite, Differenziertheit und Komplexität schwerlich Gleichwertiges neben sich findet?

Wolfgang Klähn wird am 13. Oktober siebzig Jahre alt. Das nahmen drei Orte zum Anlaß, eine umfassende Werkschau des in Hamburg lebenden Künstlers zu zeigen. In Cappenberg bei Unna (vom 26.8. bis 31.10.1999) mit Anschluß in Schleswig (9.11. bis 30.1.2000) und in Kromsdorf bei Weimar (9.10. bis 31.10.1999) wird das Bilderwerk Klähns in repräsentativer Form gezeigt. Verantwortlich für die Konzeption der Ausstellung und den sorgfältig edierten Katalog ist Dr. Thomas Gädeke, Schleswig.

Da Klähn seit seinem Schaffensbeginn nicht den Weg über den Kunsthandel gegangen ist, sondern über Museen und Privatsammler, steht er außerhalb medienwirksamer Publizität. Der schöne Vorteil für den Betrachter: Er kann sich ein Bilderwerk entdecken, das in der Tat unerschöpflich zu sein scheint.

Wo anfangen in einer Ausstellung, wie sie in Schloß Cappenberg mit hoher Sensibilität und sicherem Gespür für Bilderwirkung gehängt wurde? Der Blick auf die Anfänge Klähns um 1950 konfrontiert gleich mit kraftvollen Formen. Es ist, als ob Klähn mit keiner Nuance von den Nachkriegswirren angekränkelt wäre. Keine Lebenszweifel, kein Protest gegen welche Kunstrichtung auch immer. Mit kühner Selbstsicherheit definiert er seine Stunde als die Stunde Null. Klähn stößt in Urbeginne, in Lebenszentren.

Seine Bildertitel weisen ihn nicht nur als einen Mann der Sprache aus, sie sind ihm zugleich so etwas wie Definition: „Kosmisch – Statisch – Vegetativ“, „Zeugen und Gebären im Schönen zu Geist“, „Drängendes entbricht aus Samen“. Bis auf wenige Ausnahmen sind es Aquarelle, die Klähn schafft. Mit meisterlicher Genauigkeit und Sorgfalt kalkuliert er die Farben. In vielen Schichten fügt er sie übereinander, so als ob es Ölfarben wären. Die Wirkung ist atemberaubend: solch eine strahlende Helle, so ein Leuchten, so viel Kraft und Spannung, Tiefe und Dunkelheit. „Lebendiges blüht kühl“, der Bildertitel von 1954, versammelt diese Wirkung wie ein Aphorismus.

Es ist nicht zufällig, daß kunstgeschichtliche Kategorien beim Beschreiben des Klähnschen Werkes in den Hintergrund rücken. Natürlich lassen sich Verwandtschaften zum Vorkriegsexpressionismus aufzeigen. Doch was ist damit gewonnen? Das Eigenwillige, Eigengeformte dominiert dieses Werk.

Die fünfziger Jahre zeigen einen Klähn, der die elementaren Formen des Lebendigen erprobt: Kerne, Samen, Wachsen und Blühen, Frucht und wieder Same. Dieses Kreisen ist für ihn eine Erkenntnisbahn, die er vielmals durchschreitet und die ihn bis zur Gegenwart begleitet. Allerdings wächst ihm dabei Neues hinzu. Aus den vegetabilen Formen bilden sich Tierleiber, Menschengestalten. Eines greift ins andere. Die Metapher des Stiers wird gewonnen und vielgestaltig gezeigt. Es ist das Zusammenspiel der beherrschten Kraft, der drängenden Gerichtetheit.
Wer durch die Cappenberger Ausstellung geht und die Bilder in ihrer zeitlichen Folge wertet, wird sich plötzlich fragen: Wo bleibt die Reduktion, die so viele Alterswerke auszeichnet? Immerhin sind es Bilder aus fünfzig Jahren, die hier zu ersehen sind. Doch es ist so, als ob das Schaffen Klähns sich genau in jenem Spannungsfeld darlebt, das es selbst thematisiert: Wachsen, Blühen, Fruchten und neu zu Samen werden. So wie seine Formate bis an den äußersten Rand gefüllt sind, so wachsen ihm auch die Formen zu dichtestem Geflecht.
Als Klähn um 1960 Bilder mit christlichen Themen schafft, ist das nur konsequent. Doch wie fern sind diese Bilder aller äußerlichen Frömmigkeit! Das Augen wird ungemein gefordert, um überhaupt Struktur und Gestalt zu entdecken. Aber als ob die Bilder selbst zum Lehrer werden: dem mutigen Auge beginnen sie sich im Schauen zu erschließen. Man braucht nur ein bißchen Sehens-Risiko einzugehen, mit ein wenig Ausdauer sich dem Bild zu stellen, schon wird man belohnt.

Der Drang zur Fülle, zur Komplexität wird in den nächsten Jahrzehnten nicht geringen. Selbst in einigen seiner jüngsten Bilder konfrontiert Wolfgang Klähn den Betrachter mit höchster Dichte. Es ist, als ob er die Kompaktheit eines Samens zum Maß für die eigene Bildgestaltung nehmen würde. So gibt es Kernbilder bei ihm und solche, die bis ins heiter Wachsende streben. Vornehmlich die Bilder von 1998 und 1999 zeigen eine geradezu tollkühne Verspieltheit der Figuren, die aber dieses Lebensspiel mit hoher Ernsthaftigkeit treiben.

Doch der Bilderbogen ist noch immer nicht erschöpft. Parallel zu den Figurenbildern entstanden Landschaftszeichnungen und Zeichnungen zur Bibel. Mit der Rohrfeder zeigt Wolfgang Klähn, wie er unter Mittelbeschränkung arbeitet: schwarzweiß oder in sepia, gelegentlich mit dem Pinsel nachgearbeitet. Erstaunlich sicher und lebendig ist dieser Strich. Aber er ist nur Mittel, nicht Inhalt. Er dient, um dem Betrachter Aussage zu machen. Darum sind Klähns Bibelzeichnungen auch eher Exegesen denn Illustrationen.

Diese Art, an die Welt bildforschend heranzutreten, kennzeichnet ebenso die Landschaften. Sie sind mit Sicherheit nicht Abbild, sondern eher so etwas wie Kräftebilder. Sie lassen sich realistisch lesen, unstreitig – aber sind sie damit erkannt? Ich glaube nicht. Das Auge wird auch an diesen Landschaften – zum Teil farbig, zum Teil schwarzweiß – genötigt, sich zu wandeln. Es ist, als ob Klähn dem Auge von jener Lebendigkeit durch den Vorgang des Sehens etwas mitgeben möchte, die ihn selbst zu diesen Bildern leitete.

Wer sich auf die Bildwerke von Wolfgang Klähn einläßt, geht ins Risiko. Warum ist dieses Werk doch relativ unbekannt geblieben? Wie konnte solcher Fleiß, solche Gradlinigkeit und Unbeugsamkeit weitgehend unerkannt entkommen? Warum ist man nicht beglückt, eine so lebendige, reiche und vielgestaltige Bildwelt immer aufs Neue zu präsentieren? – Doch halt, eigentlich widerspricht die Tatsache dieser drei Ausstellungen bereits meiner Frage.




Erschienen in der Antiquitäten-Zeitung, München, September 1999

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