Phantasus

… oder Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt

Der Beginn der literarischen Moderne um 1900 begann ganz unscheinbar. In einem kaum bekannten Verlag veröffentlichte ein Berliner Dichter namens Arno Holz ein Büchlein mit dem Titel “Phantasus”. Zweimal fünfzig Gedichte, auf Mittelachse gesetzt in schwingender Jugendstilschrift. Das war noch nicht allzu modern, aber es war ein Keim. Dieser Phantasus begann ihm schnell zu wuchern. Bis 1916 wuchs er zu einem gewaltigen Buchepos heran, das in der Größe eines DIN-A-3-Blattes und zwei Finger dick daherkam. Weiter ging es. In den nächsten Jahren wurden es drei stattliche Bände mit über eintausend Seiten.

In diesem gewaltigen Wortwerk verbergen sich aber selten gehörte Kostbarkeiten. Der Kunstsprecher Bernd Seydel mit seiner Mundwerkstadt hat daraus ein abendfüllendes Programm gezaubert. Da Seydel keinerlei Berührungsängste mit akrobatischen Zungenschlägen und irrwitzigen Wortketten hat, erschrecken ihn auch nicht die ekstatischen Sätze eines Arno Holz. Mit geradezu unbekümmerter Leichtigkeit baut er die Visionen des Phantasus vor den staunenden Zuhörern auf. Am Ende des Abends ist ein blitzender und flirrender Bilderbogen vorbeigezogen, allein hervorgebracht durch die Kraft der Worte.